Stück von Georg Büchner
Im Rahmen des EU-Festivals ‚Splendid Europe‘ gastierte das Hessische Staatstheater Wiesbaden mit dem Stück ‚Woyzeck‘ im Chinesischen Nationaltheater in Beijing, China – als Beitrag zu den Büchner-Gedenkjahren.
Georg Büchners Woyzeck gilt als einer der größten dramatischen Texte der Weltliteratur. Und doch fand das Stück erst hundert Jahre nach Büchners Geburt den Weg auf die Bühne (UA: 8. November 1913, Residenztheater München). Das ist nicht verwunderlich, weist Büchner doch mit seinem Fragment gebliebenen Drama weit über seine Zeit hinaus. Erstmals im europäischen Theater wird ein Underdog zum tragischen Helden, erstmals wird die Frage von Determinismus und Freiheit menschlichen Handelns in so radikaler Form gestellt, erstmals das Montageprinzip als szenisches Stilmittel eingesetzt.
Büchners Dichtung beruht auf einem Kriminalfall, der seinerzeit große Beachtung fand: Der 41-jährige ehemalige Soldat und arbeitslose Perückenmacher Johann Christian Woyzeck erstach am 21. Juni 1821 seine Geliebte im Hauseingang ihrer Wohnung. Als Tatmotiv galt Eifersucht. Drei Jahre später wurde er in seiner Geburtsstadt Leipzig hingerichtet.
Doch der im hessischen Goddelau geborene Dichter, Naturwissenschaftler und Revolutionär Büchner interessiert sich nicht nur für die soziale Fallstudie. Sein Blick geht tiefer. Woyzeck wird bei Büchner zum Prototyp des gehetzten, ruhelosen Menschen, der, von der Gesellschaft benutzt und dressiert, keinen Ort findet, wo er jenseits von Zwecken Mensch sein kann. Als Marie ihn in ihrem Liebeshunger mit dem Tambourmajor betrügt, ist auch der letzte Ruhe- und Fluchtpunkt zerstört.
Der Mensch sei ein Abgrund, es schaudere einen, wann man in ihn hineinschaue, sagt Woyzeck einmal. Und sein Autor Georg Büchner, der 1837 dreiundzwanzigjährig im Züricher Exil starb, hat sich zeitlebens gefragt: ‚Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?’
Der Beifall war einhellig. Das Premierenpublikum applaudierte lang und heftig mit Bravos für die Hauptdarsteller und das Produktionsteam. (…) Die Ausstattung (Bernd Holzapfel) unterstützt durch Auslassung, die Musik (Roman Beilharz) mit untergründiger Vorwegnahme und ein Schauspiel-Ensemble mit ungemeiner Präsenz. Es spielen Alexandra Finder die Marie und Rainer Kühn die Titelfigur. Hager und großäugig, hohlwangig und getrieben macht dieser Gast-Schauspieler die Stimmen in seinem Kopf und selbst noch die Stille sichtbar. Eine grandiose Leistung. Alexandra Finder ist eine jugendliche Marie, die dennoch den Zwiespalt zwischen Lebenslust und Todesahnung bis in kleinste Regungen verdeutlicht. Respekt. (…) In all seiner dramatischen Dunkelheit und elementaren Traurigkeit – diesen Woyzeck muss man gesehen haben.
Wiesbadener Kurier/ Tagblatt, 27.11.2006
So sieht Büchners ‚Woyzeck’ aus, der nun in einer großartig kargen ‚Fassung am Staatstheater Wiesbaden’ zu sehen ist. Auf das Wesentliche reduziert, das darum umso näher und umso größer wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.12.2006